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IM GESPRÄCH MIT KENJI OUELLET

Foto: Margareta von Klenze
Foto: Margareta von Klenze

Der Choreograf und Träger des Videokunst Förderpreises Kenji Ouellet zeigte während der Festivalwoche zwei Arbeiten: Seine intime Interpretation von LE SACRE DU PRINTEMPS: A HAPTIC RITE  und seine Videoinstallation IN DOG YEARS I’M DEAD (noch zu sehen in der Weserburg – Museum für Moderne Kunst bis zum 21.5.2017). Obwohl der gebürtige Kanadier ungern zu viel von seinen Arbeiten erzählt und diese lieber für sich sprechen lässt, gab er TANZ Bremen ein Interview. 

 

Du bist in Quebec geboren, hast zunächst in New York Klavier studiert und dann in Wien und Berlin Medienkunst. Ist das Umherziehen für Dich Programm?

Nein, es ist kein Programm. Ich möchte nicht mehr den Ort wechseln, denn das kostet Energie und Zeit.

 

Wie bist Du vom Klavierstudium zur Medienkunst gekommen?

Ich habe mich schon während meines Klavierstudiums mit Fotografie und Video beschäftigt. Das Arbeiten mit Bildern ist dem Arbeiten mit Klang und Musik sehr ähnlich. Das war eine organische Entwicklung, ich habe mit verschiedenen Medien gearbeitet, und später kam noch die Performance dazu. All diese Bereiche sind für mich miteinander verbunden. Da ich ursprünglich aus der Musik komme, hat der Klang eine große Bedeutung für mich. Jedes Medium hat seine grammatikalischen Eigenheiten, und dennoch gibt es Ähnlichkeiten.

 

Was ist dein spezifisches Interesse an Tanz oder am Körper?

Ohne Körper kann man keine Musik machen. Und auch Klavierspielen ist eine Art physische Choreografie. Im Unterschied zum Tanz erzeugt sie Klänge, während Tanz Bewegungen schafft, also etwas, das man sieht. In beiden Fällen gibt es ein Handwerk, das man lernen muss. Ich habe mich viel mit zeitgenössischem Tanz auseinandergesetzt, bei meinen ersten Videoarbeiten habe ich mit Tänzern gearbeitet.

 

Wie ist Deine Arbeit „Le Sacre Du Printemps: A Haptic Rite“ entstanden?

Im Rahmen meines Medienstudiums habe ich mich mit den kulturell bedingten Hierarchien der Sinne beschäftigt. Traditionell haben Hören und Sehen eine sehr viel größere Bedeutung als andere Sinne. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Im Gegensatz zu Köchen oder Parfümeuren gelten Schriftsteller, Maler und Musiker ganz klar als Künstler. Mir fiel auch auf, dass es für den Tastsinn keine eigene Kunstrichtung gibt. Das ist der Impuls, der vor einigen Jahren zu einer Reihe von Performances (Pièces touchées) geführt hat. Erst einmal versuchte ich, nur mit dem Tastsinn zu arbeiten, und habe dann gemerkt, dass man die Sinne schlecht voneinander trennen kann. Wir funktionieren multisensorisch, auch wenn es eine Hierarchie der Sinne gibt. So sind auch meine Choreografien multisensorischer geworden.

 

Nicht nur in den Künsten, auch im Alltag gibt es sehr wenige Orte für Tast-, Geruchs- oder Geschmackserfahrungen. Audio-visuelle Erfahrungen dagegen machen wir permanent.

Ich würde sagen, auch Tast- und Geruchserfahrungen machen wir permanent. Aber wir schenken ihnen weniger Aufmerksamkeit. Es sei denn, es wird unangenehm – dann unterscheiden wir aber oft nur zwischen angenehm und unangenehm. Für visuelle Wahrnehmungen dagegen haben wir sehr viel feinere Klassifizierungen. Bisher gibt es in diesem künstlerischen Bereich kaum etwas. Die Referenzen sind in der Regel Massage oder erotische Dienstleistungen. Hier ist noch vieles möglich, das macht die Arbeit sehr interessant.

 

Deine Videoarbeiten sind sehr ruhig und unaufgeregt - eindrücklich, ohne aufdringlich zu sein. Hast Du Dich bewusst gegen den Einsatz spektakulärer Elemente entschieden?

Ich denke, das ist immer von der Thematik abhängig. Ich habe auch schon gegenteiliges Feedback bekommen. Insgesamt ist es aber so, dass ich ungern über das Vorhaben hinter meinen Arbeiten spreche. Sie sollten offen bleiben. Es gibt in meinen Arbeiten oft verschiedene Ebenen – Text, Ton und Bilder – die Unterschiedliches ausdrücken. Fragen, die eindeutig zu beantworten sind, interessieren mich nicht besonders.

 

Deine Videoarbeiten handeln nach meiner Wahrnehmung von der vergeblichen Sehnsucht der Menschen nach etwas Höherem. Es werden sozusagen archetypische Glaubenssätze dekonstruiert. Was passiert, wenn diese verschwinden?

Die erste Frage ist doch vielmehr, ob sie verschwinden können. Es gibt Dinge, die man in Frage stellen kann, aber dadurch ist man sie noch nicht los. Ich sehe es aber nicht als meine Rolle, Antworten vorzugeben. Es gibt Fragen, die bei der Kunst gut aufgehoben sind, aber es gibt auch sehr viele Fragen, die woanders besser gestellt werden können.

 

Worin  glaubst du besteht dann der Sinn, mit dir über deine Arbeit zu sprechen, wenn eigentlich deine Werke die Antwort geben?

Das ist eine berechtigte Frage. Jedem Künstler passiert es, dass Menschen mit einer Interpretation kommen, an die man selbst nicht gedacht hat. Die Arbeit entwickelt ein Eigenleben und das entzieht sich meiner Kontrolle. Im Fall von „Le Sacre du Printemps“ spielen auch Eindrücke eine Rolle, die eine vorsprachliche Ebene im Menschen ansprechen. Man muss es erleben und jede Person erlebt es anders. Daher ist es gefährlich, zu viel vorzugeben. Andererseits muss man den Menschen eine grobe Idee oder einen Beschreibungstext liefern, damit sie überhaupt Lust auf die Performance bekommen. Leider gibt es wenige Referenzen zu haptischen Arbeiten, an denen sich Menschen orientieren und sagen können „das erinnert mich an diesen oder jenen Künstler“. Das gibt es im Bereich Tanz bisher noch nicht so viel.

 

Das zieht ja schon die pragmatische Frage nach sich, wie gut du mit dieser Art von Kunst dein Geld verdienen kannst?

Also wir bieten kein besonders rentables Format für Veranstalter an. Selbst wenn wir bei einem Festival ausverkauft sind, werden keine großen Einnahmen erzielt. Der Unterschied zu gängigen Kunstformaten ist riesig. Wenn 800 Leute eine Person auf der Bühne sehen können, ist das auf eine ganz andere Weise rentabel. Wir müssen den ganzen Tag arbeiten, um sehr wenige Menschen zu „behandeln“. Aber dafür entsteht eine ganz besondere Erfahrung für das Publikum, und auch für uns. Wir sehen unmittelbar, welche Wirkung die Performance auf die Besucher hat. Man opfert die großen Publikumszahlen und bekommt dafür eine sehr spezielle und intensive Erfahrung.

 

Ist es daher nicht ein Risiko, auf diese Weise mit Körpern zu arbeiten?

Man muss natürlich vorsichtig arbeiten, ohne dabei bloß brav und angenehm zu sein. Es interessiert mich nicht unbedingt, die Leute zu erschrecken oder ihre Grenzen zu überschreiten. Das wäre fast zu einfach. Wir müssen unsere Interventionen sehr genau kalibrieren. Deswegen brauchen wir Zeit, und viele Performer.

 

Interview: Michael Ludwig Tsouloukidse